Kunstraum am Schauplatz, 21.6.2023, 19:00
Der aus Vorarlberg stammende Peter Ahorner und der aus Schwaben stammende Markus Rössle sind nach Wien eingewandert und haben sich kurz nach Rössles Ankunft Anfang der 1990er Jahre kennengelernt, seither verbindet sie eine Freundschaft. Vor etwa zehn Jahren entstand der Wunsch, gemeinsam Kunst zu machen. Rössle stellte Ahorner eine Auswahl von Schnappschüssen zur Verfügung, die dieser dann als Anregung für Textfragmente zu den Fotos nutzte. Gemeinsam wählten sie Texte zu Fotos aus, diskutierten und ordneten neu an, wobei oft Zeilen für ein bestimmtes Foto auf ein anderes übertragen wurde: Die
Bildgedichte waren geboren.
Das Ziel dieses Prozesses ist es, „einen neuen Raum zu öffnen, eine neue Metaebene zu schaffen“, wie Rössle es beschreibt. Wird ein Text in einer Ausstellung gleichberechtigt neben einer Fotografie präsentiert, verändert diese Präsentation die Rezeption der Bildebene. Es entsteht eine Störung der Sehgewohnheiten, die es ermöglicht, sowohl die Fotografie als auch den Text auf eine neue und ungewohnte Weise wahrzunehmen. Stimuliert durch Rössles Bilder, schreibt Ahorner assoziativ zu den Fotografien. Was Ahorner schreibt, geht über die bloße Betitelung der Fotografien von Rössle hinaus. „Es ist ein Angebot“, sagen beide. Ihre Arbeit ist eine Einladung, alte Sehgewohnheiten hinter sich zu lassen.
Ahorners Texte zu Rössles Fotografien sind Bilderweiterung, nicht Bilderklärung. Obwohl das Duo seine Produkte Bildgedichte nennt, schreibt Ahorner in diesem Projekt keine Gedichte, sondern „Gedicht-Zeilen“, wie Girlanden legt er sie um die Fotobilder. Ein wichtiger Aspekt dieses Projekts mit dem Dichter Ahorner ist es für Markus Rössle, Absurditäten einer durch künstliche Intelligenz beeinflussten Zukunft aufzuzeigen. K.I. hat kein künstlerisches „Auge“, kann Worte nur vage und letztendlich beliebig in Bilder übersetzen.
Künstliche Intelligenz vermag nicht, was Markus Rössle kann: Mit visuellem Urteilsvermögen und ästhetischem Sinn Bilder erzeugen. In der Ausstellung beinahe wir im Wiener Kunstraum am Schauplatz kommentiert Rössle diese zukünftige Rolle des Wortes in der visuellen Bildgestaltung, indem er Ahorners Gedicht-Zeilen buchstäblich über den Fotografien präsentiert. Rössle und Ahorner haben ihre Energie gebündelt, um uns eine Erfahrung zu schenken, die über Bild und Text hinausgeht.
Dr. Renée Gadsden Wien, Juni 2023